Wien hat eine enorm hohe Dichte an Supermärkten. Gleichzeitig teilen sich drei große Lebensmitteleinzelhandels-Ketten die Stadt. Neben diesen wenigen Großen und einer dominierenden Bio-Supermarktkette, gibt es viele kleine engagierte Einzelkämpfer:innen. Die kleinen Lebensmittelgeschäfte, meist mit wichtiger Grätzelfunktion, die Marktgreißlerei auf den Märkten, die Marktfahrer:innen und die Direktvermarkter:innen auf den Wochenmärkten. Sie alle versorgen ihre treuen Stammkund:innen.
Die Arbeit im Lebensmitteleinzelhandel ist für sie alle mit einem sehr hohen Arbeitseinsatz bei vollem Risiko verbunden. Mit frischen Produkten zu allen Jahreszeiten zu arbeiten ist eine große Herausforderung.
Ich hab selbst, gemeinsam mit meiner Schwester Petra fünf Jahre den Kaufmannsladen am Vogl-Markt in Wien betrieben, daher schlägt mein Herz –immer noch – für die Marktgreißlerei. Die Arbeit am Markt hat mich sehr geprägt und meine Erfahrungen will ich bestmöglich auch in unserer Genossenschaft bei morgenrot unterbringen.
Aus meiner Sicht steht die Marktgreißlerei im Lebensmittel-Einzelhandel so ein bisschen zwischen dem Greißler und dem Marktfahrer. Man hat zwar ein Geschäftslokal mit Mauern, doch im Winter ist es oft sehr kalt und im Sommer sehr heiß. Auf einem der Wiener Märkte einen festen Marktstand zu betreiben gleicht je nach Engagement des Greißlers einer öffentlichen Angelegenheit. Auf einen Markt gehen viele Menschen mit einer ganz besonderen Vorstellung, wie dieser zu sein hat. Welche Produkte es zu geben hat und zu welchem Preis diese angeboten werden sollten. Das Feedback der Kund:innen ist unmittelbar und oftmals gnadenlos. Die Konkurrenzsituation zu den Supermärkten ist groß und die Sortimentsgröße mangels Platzangebot klein. Also fokussieren sich viele auf das Füllen von Angebotslücken im Umfeld des Marktstandes. Super Gepsenkäse von der Alp im Bregenzerwald oder Urkornprodukte aus dem Waldviertel.
Auch die Saisonalität spielt einer große Rolle. Ob Sturm oder Punsch, Reindling oder Lebkuchen, Erdbeeren oder Paradeiser. Alles zu seiner Zeit. Platznot macht erfinderisch. Kund:innen und Marktgreißler:innen tun sich zusammen: deshalb einigt man sich im Laufe der Jahre auf ein erweitertes Produktangebot, das ganz einfach vorbestellt und gleich abgeholt wird. Frischfleisch zum Beispiel, oder Ziegenmilch. Das glutenfreie Brot oder den fünf Kilo Sack Bio-Roggen zum Brotbacken.
Gut geführte Marktgreißlerein verfügen über ein umfangreiches Produzent:innen-Netzwerk, das mit viel persönlichem Einsatz aufgebaut und gepflegt wird. Die Produzent:innen liefern oft persönlich die Waren und der direkte Austausch über neue Produkte oder eben auch Ernteausfälle erfolgt im Gespräch. Die Versorgung mit regionalen Lebensmitteln von ausgewählten Partner:innen ist oftmals kleinteilig und vielseitig – für beide Seiten. Aber es macht Freude!
In den Marktgreißlereien gibt es oft Kaffee und Kuchen und/oder es wird gekocht. Im Rahmen der Möglichkeiten, mit sogenannten Nebenrechten für den Lebensmittelhandel, gibt es Mittagstisch für die Stammkund:innen. Da der Laden voll ist mit guten Dingen, gibt es oftmals keine fixe Karte, sondern das, was der Laden hergibt. Diese Spontanität schätzen und lieben die Kund:innen und es holt alle ein bisschen näher zusammen, in der Stadt.
Ich weiß, dass viele Menschen eigentlich nicht mehr im Supermarkt und auch nicht im Bio-Supermarkt einkaufen wollen. Weil sie mit dem Produktangebot und der Qualität oft nicht zufrieden sind. Und weil sie die großen Ketten nicht mehr unterstützen wollen. Doch mangels Zeit und Nerven finden sich viele im Supermarkt wieder und die Marktgreißlerei bietet diesen Menschen keine optimale Alternative für den Wocheneinkauf. Das spüren natürlich die Marktgeißler:innen am Umsatz. Im Zuge der verordneten Lock-Downs hat man als kleiner Lebensmitteleinzelhändler erlebt, wie die Nachfrage plötzlich sprunghaft steigt, wenn die Leute tatsächlich weniger oder gar nicht in den Supermarkt gehen. Das Abebben dieser Nachfrage mit dem Beginn der davor üblichen Einkaufsroutinen gab mir natürlich zu denken.
Von der Idee zur Genossenschaft, die aus Produzent:innen und Kund:innen besteht, habe ich erstmals erfahren, als wir den Kaufmannsladen schon in gute Hände weitergegeben hatten. Der Gedanke, nicht als unternehmerische Einzelkämpferin tätig zu sein, sondern die Synergien aller, die an ihrer Genossenschaft beteiligt sind, zu bündeln hat mich von beginn an überzeugt.
Kund:innen, die mit ihrem Einkauf aktiv Einfluss auf das Wohl ihres gemeinsamen Unternehmens haben. Die mitentscheiden können, wo ihr nächster Nahversorger entsteht. Wo es möglich ist, den Einkauf für die Woche zu erledigen. Und wo man die Wahl hat: ob man »nur« zum Einkaufen kommt oder ob man sich auch darüber hinaus austauschen will. Nämlich bei morgenrot –Veranstaltungen, Exkursionen oder in Arbeitsgruppen.
Gemeinsam lässt sich auch ein stabiles Produzent:innen-Netzwerk aufbauen, das in Zukunft dazu beitragen kann, die landwirtschaftliche Produktion in regenerative Bahnen zu lenken und all jenen Bäuer:innen den Rücken zu stärken, die das aktuelle System nicht mehr mittragen wollen.
Gute Ideen müssen sich umsetzten lassen. Deshalb muss bei der kompletten Bestell-, Ein- und Verkaufsabwicklung alles gut laufen, sodass uns im Arbeitsprozess die Zeit bleibt, auf die wichtigen Dinge zu schauen: gute Zusammenarbeit, faire Arbeitsbedingungen und faire Preise.
All jenen Marktgreißler:innen, die diesen Artikel lesen und die möglicherweise manchmal den Mut verlieren kann ich von Herzen raten: Tut euch zusammen. Oft findet man gemeinsam die besten Ideen. Sich zusammenzutun heißt nicht, auf Individualität zu verzichten.