Mein Start in einem Konzern
Eigentlich wollte ich nach dem Studium ins Ausland gehen. Aber irgendwie bin ich dann in einem internationalen Lebensmittelhandels-(LEH)-Konzern gelandet. Eigentlich war ich ab dem ersten Tag unzufrieden und irgendwie dagegen. Gleichzeitig bekam ich aber sehr früh viel Verantwortung und durfte wirklich viel lernen. Natürlich habe ich auch echt gutes Geld verdient und naja, bin mir schon auch wichtig vorgekommen. Durch ganz Europa reisen und immer wieder mit einem Trolley in der Hand durch diverse Flughäfen huschen, das hatte damals was.
Größtenteils ist so ein Supermarkt ja echt pervers. 10.000 Produkte (in einem kleinen Supermarkt, bis zu 70.000 in einem großen), braucht die eigentlich irgendjemand? 10 Marken der gleichen Nudeln? 15 unterschiedliche Mineralwasser? Und was die meisten ja nicht wissen: mit 20% der Produkte wird in etwa 80% des Umsatzes gemacht. Und die anderen? Wieso stehen die denn überhaupt im Regal, wenn sie eigentlich relativ wenig Umsatz machen? Brauchen die die Kundinnen denn wirklich? Fragen über Fragen. Und keine sinnvollen Antworten.
Aber jedes Mal, wenn ich knapp davor war, zu gehen, hat man mich mit spannenden Projekten, neuen Verantwortlichkeiten und ja, viel Geld gehalten.
Ab einer gewissen Größe werden Unternehmen auch ineffizient. Das liegt wohl auch an der Anzahl der Mitarbeiter. Vor allem dann, wenn es ihnen vorranging um ihr persönliches Weiterkommen geht. Nicht weil sie schlechte Menschen sind, sondern weil ein Konzern so funktioniert. Eine Zeit lang hatte ich den Plan, selbst möglichst hoch aufzusteigen. Denn wenn man ganz oben ist, kann man ja andere Entscheidungen treffen und das ganze Ding anders aufsetzen. Im Laufe der Zeit ist mir aber bewusst geworden, dass so ein System nicht von innen zu ändern ist.
- Wie weit korrumpiert man sich selbst beim Aufstieg und verrät seine eigenen Werte?
- Selbst wenn man ganz oben ist, wieviel Macht hat man tatsächlich? Denn wenn die Menschen darunter nicht mitziehen, ist es auch als Oberboss unmöglich, etwas zu ändern
- Und soziale Systeme sind autopoietisch – sie erschaffen sich also immer wieder so selbst, wie sie sind – systemische Veränderung ist echt schwierig
Und ich habe in meinen 15 Jahren im Konzern kein einziges Mal mit einem Bauern gesprochen. Genau. Kein einziges Mal. Nicht weil es mir egal war. Sondern weil in solchen Konzernen keiner die gesamte Kette überblickt. Und jeder immer nur für einen Mini-Teilbereich zuständig ist. Mir war zwar klar, dass man als Bauer nicht reich wird, aber wie fatal die Situation tatsächlich für viele ist, das hatte ich nicht am Schirm.
Im Gegensatz dazu verdient man in so einem Konzern ganz schön viel Geld (natürlich nicht als Mitarbeiterin im Geschäft, aber ab einem gewissen Management-Level). Einfach viel zu viel. Und da passiert es fast automatisch, dass man die Bodenhaftung ein wenig verliert. Da kann ich mich nur bei meiner Lebensgefährtin Elke bedanken, die (damals Lehrerin, heute an einer Uni) mir immer wieder den Spiegel vorgehalten und mir bewusst gemacht hat, wie abgehoben manche Vorstellungen sind, wenn man (zu) viel Geld verdient.
Ich habe das System Konzern immer mehr hinterfragt. Von innen ändern geht nicht bzw. ist aus oben genannten Gründen nicht sehr erfolgsversprechend. Kann es dann vielleicht von außen gehen? Und was würde das bedeuten?
Alternativen zum Supermarkt
So habe ich begonnen mich mit Alternativen zu beschäftigen. Mit unterschiedlichen Arten der Landwirtschaft, anderen Vertriebsformen wie solidarischer Landwirtschaft (englisch CSA = community supported agriculture) und Food Coops, Direktvermarktung und ähnlichem.
Und dann passierten mehrere Dinge fast zeitgleich:
- Bei einem Symposium habe ich
- Erstmals so richtig mitbekommen, wie wenig die Bäuerinnen für ihre Arbeit tatsächlich bekommen und viele daher aufgeben und zusperren müssen
- Wie sehr Konzerne beeinflussen, wie heute Landwirtschaft betrieben wird. Und dass der Hebel gegen die Klimakrise riesig ist – mehr als 1/3 aller Treibhausgas Emissionen kommen laut einem Food Planet Prize Artikel aus dem globalen Ernährungssystem. Bei der Biodiversitätskrise ist der Hebel mindestens genauso groß, berichtet Chatham House.
- Dass es ganz viele Problemaufrisse gibt, die auch immer wieder durchgekaut werden, aber ganz wenig Lösungen
- Und habe über den Film „Zeit für Utopien“ von Kurt Langbein mit Hansalim auch endlich eine Lösung entdeckt, die massentauglich ist und nicht nur in der Mini-Nische funktioniert.
- Meine Schwester wurde mit ihrem ersten Kind, meiner Nichte Emma schwanger. Und da habe ich mir ernsthaft die Frage gestellt, was die wohl mal über ihren Onkel erzählt, wenn sie in der Schule ist. Fetter Konzern-Bonze oder zumindest am Versuchen, die Welt ein wenig besser zu machen?
- Ich konnte mich als Unternehmensberater selbständig machen, mit einem abschätzbaren Auftragsvolumen für die ersten beiden Jahre – natürlich mit sehr viel weniger Geld als im Konzern, aber trotzdem nicht Null Einkommen.
Und dann bin ich einfach gesprungen und habe gekündigt. Hatte immer wieder mal schlaflose Nächte und Existenzangst. Das geht mir übrigens auch heute noch manchmal so. 😉 Wusste oft nicht, wie es weitergeht. Und war trotzdem sehr glücklich, meinen eigenen Weg gehen zu können.
Ich habe in den letzten Jahren sehr viel dazugelernt. Über Fairness und Gerechtigkeit. Regenerative Landwirtschaft und Permakultur. Über die Abhängigkeiten im globalen Ernährungssystem. Und wie sehr das Ernährungssystem zur Klima- und Biodiversitätskrise beiträgt. Und wie man mit einer anderen, regenerativen Art der Landwirtschaft gegensteuern könnte. Man müsste nur die Rahmenbedingungen ändern. So bekommen wir es hin, dass Ernährungssysteme gerecht und fair werden. Und gleichzeitig den Planeten helfen, zu regenerieren anstatt ihn zu zerstören. Ich habe mich mit unzähligen Bäuerinnen und anderen Expertinnen ausgetauscht, wurde Teil des Ernährungsrats in Wien. Nach und nach wurden die Lösungsansätze konkreter.
Ernährungssysteme ganzheitlich neu denken
Wir müssen Ernährungssysteme ganzheitlich ändern, nicht nur einen Teilausschnitt. Die Art der Landwirtschaft. Wie wir Lebensmittel verarbeiten. Wie wir die Logistik durchführen. Wie wir Lebensmittel haltbar machen, ohne so viel Verpackungsmüll zu produzieren. Wie sich Kundinnen und Bäuerinnen begegnen (oder eben nicht). Wie Menschen (vor allem in Großstädten) an ihre Lebensmittel kommen. Und wer wie viel damit verdient. Denn im System ist genug Geld. Es ist nur ungerecht verteilt.
Wir müssen Systeme schaffen, die regional funktionieren. Die viele Menschen mit hochwertigen Lebensmitteln versorgen können. Und trotzdem so konstruiert sind, dass wir in 50 Jahren nicht wieder bei wenigen großen Unternehmen sind, die die Macht haben, dass Schicksal der Ernährungssysteme zu bestimmen. Wir müssen heute beginnen, gegenzusteuern. Gegen Klima- und Biodiversitätskrise. Für faire Preise. Denn übermorgen ist es zu spät. Dann gibt’s keine fruchtbaren Böden mehr auf unserem Planeten. Und Kunstdünger (mangels Erdöls) sowieso nicht mehr. Darum gründen wir morgenrot.
Ich versuche, meinen Teil zu wirklich nachhaltigen und regenerativen Lösungen beizutragen. Mit IT-Tools, die regionale Ernährungssysteme mit vielen kleinen Bäuerinnen professionalisieren. Mit ersten Projekten für regionale Logistiknetzwerke. Mit Lösungen, um Food Waste zu vermeiden und wieder viele Lebensmittel regional zu verarbeiten und herzustellen. Mit Lösungen, wie viele Menschen in der Stadt ihre Lebensmittel besser beziehen können. Fairer. Wirklich nachhaltig. Regional. Saisonal. Einfach ehrlich.
Deswegen gibt es morgenrot. Heute sind wir noch ein paar wenige, morgen hoffentlich ganz viele!